DirigentKünstlerischer Leiter der Europäischen Filmphilharmonie
STUMMFILM - der Begriff ist irreführend, denn der Stummfilm war nie stumm. Schon bei der ersten Filmvorführung der Brüder Lumiere im Dezember 1895 begleitete ein Klavierspieler die kurzen Streifen. So wie sich bis zur Einführung des Tonfilms Ende der zwanziger Jahre die Filmindustrie als auch die künstlerische Qualität der Filme rasant entwickelte, gilt dies auch für die musikalische Begleitung der Filme. Spielten anfangs noch einzelne Musiker oder kleine Ensembles, wurde die Begleitung durch ein Orchester in den Städten zur Selbstverständlichkeit. Man baute prunkvolle Filmpaläste, in denen Filmorchester mit bis zu hundert Mitwirkenden Platz fanden und allabendlich für die musikalische Begleitung sorgten. Eine neue Gattung unter den Musikern entstand: der Filmkomponist, der Filmmusikarrangeur, der Kinokapellmeister, ganz allgemein der Filmmusiker. Es entstanden anspruchsvolle Partituren für ambitionierte Filmprojekte, es wurde eine Akademie für Filmmusik in Berlin gegründet und eine Reihe von Büchern herausgegeben, die sich theoretisch und praktisch mit Filmmusik beschäftigten. Daher wäre es damals als absurd erschienen, einen Stummfilm stumm aufzuführen.Diese Entwicklung erfuhr ein abruptes Ende mit der Einführung des Tonfilms (1927). Diese Feststellung ist bedeutend für die in den 70er Jahren einsetzende Renaissance der Stummfilmmusik: Dieses Genre kam nicht aus künstlerischen Gründen zu ihrem Ende, sondern durch die Einführung einer technischen Neuentwicklung.Eine vergessene Kunst wurde wieder entdeckt und zugleich ein emotionales Ereignis geschaffen, indem die Stummfilme entweder mit ihrer seinerzeitigen oder einer neuen Musik aufgeführt wurden. Die Stummfilmrezeption entwickelte sich von der heiligen Aura der Cinematheken weg zu einem Gemeinschaftserleben und Erlebnis unterschiedlicher Publikumsschichten. Dies wurde gefördert durch die Präsentation solcher Projekte in Opern- und Konzerthäusern, im Theater, als Open Air-Veranstaltungen oder in Hallen, da die Filmpaläste vergangener Zeiten zerstört oder nicht mehr verfügbar waren, bzw. Filmtheater auch nicht in der Lage sind, die notwendigen Facilities zu stellen und zu finanzieren.Seit über einem Jahrzehnt hat der Stummfilm nun auch auf dem europäischen Kulturkanal arte seinen festen Sendeplatz. Durch die enge Zusammenarbeit mit den internationalen Filmarchiven und die engagierte Arbeit nicht zuletzt der ZDF/ARTE Spielfilmredaktion (Hans Peter Kochenrath verstorben 1999 und Nina Goslar) bot das Stummfilm-Programm von ARTE eine ganze Reihe großartiger Entdeckungen der Filmgeschichte. Ein besonderes Augenmerk gilt der detailgenauen Rekonstruktionen von Original-Stummfilmmusiken sowie der Vergabe von Kompositionsaufträgen und deren Produktion. Hierbei wurde immer eine enge Zusammenarbeit mit den Ensembles und Orchestern angestrebt, um eine höchstmögliche Qualität der Aufführung bzw. der Einspielung zu erreichen.Immer wieder zeigte sich die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit dem Genre seitens der Musiker eines Ensembles oder eines Symphonieorchesters. Denn einerseits sollten sie den spezifischen Bedürfnissen der Stummfilmmusik gerecht werden und sich mit dem Genre der Filmmusik identifizieren, andererseits aber aufgrund ihrer eigenen musikalischen Qualität die teilweise komplexen Partituren ohne Abstriche umsetzen können. Und wenn diese Voraussetzungen erfüllt werden, führt eine Zusammenarbeit zwischen Konzertveranstaltern, Theater- und Opernhäusern, Kommunalen Kinos, dem Fernsehen wie z.B. ZDF/ARTE und den Ensembles und Orchestern zu einer Vielzahl von Aufführungen, die das Genre lebendig erhalten und zu einmaligen Erlebnissen beim Publikum sorgen.Denn es sollte uns allen eine Verpflichtung sein, diese Tradition fortzusetzen, aber auch nach neuen Wegen in der musikalischen Begleitung und Präsentation dieser Werke zu suchen. Das Potential an Filmen aus einer Vielzahl von Ländern und die verschiedensten Formen von Musik - Originalmusiken wie Neukompositionen oder andere Modelle, Filme musikalisch zu begleiten bzw. ebenbürtig zu ergänzen - ist unerschöpflich. In diesem Genre läßt sich eine Internationalität der Kulturen aufzeigen und miteinander in Beziehung bringen.